Kurz-Info: Vorsokratik - Von Thales bis Heraklit

Mit den sogenannten Vorsokratikern (mit den Philosophen/Gelehrten vor Sokrates) beginnt die Geschichte der westlichen Philosophie. Die naturphilosophischen Elemente der Vorsokratik waren dabei zugleich eine wichtige Vorstufe zur Herausbildung der heutigen Naturwissenschaft. Gerade in ihren Anfängen war die Vorsokratik dabei aufs Engste mit der Herausbildung der griechischen Mathematik verwoben. Thales wie Pythagoras (und die Pythagoreer) sind eben nicht nur als Schlüsselfiguren der Vorsokratik bekannt, sondern nehmen zugleich einen wichtigen Platz in der Geschichte der griechischen Mathematik ein.

ThalesDie Vorsokratik beginnt mit Thales (ca. 625 – 547 v.Chr.). Er begründete in seiner Vaterstadt Milet die Tradition der ionischen Naturphilosophie. Neben Thales waren vor allem Anaximandros (ca. 610 – 546 v.Chr.) und Anaximenes (ca. 585 – 526 v.Chr.) wichtige Vertreter der frühen ionischen Naturphilosophie. Da alle drei in Milet wirkten, spricht man auch von der Schule von Milet oder der milesischen Naturphilosophie.

Die milesische Naturphilosophie versucht sich an einem Verständnis der Welt abseits der bekannten religiös-mythologischen Traditionen. Bei allen Irrtümern, die den frühen ionischen Naturphilosophen unterlaufen, zeichnen sie sich durch ein sensationelles Merkmal aus: Sie wollen die Welt mit den Mitteln des Verstandes begreifen und verzichten zugunsten eines Mehr an Rationalität auf den Rückgriff auf religiös-mythologische Deutungsmuster.

So ist es typisch für die milesische Naturphilosophie, dass sie bei der Frage nach dem Ursprung aller Dinge auf keinen Schöpfungsmythos zurückgreift, sondern lieber darüber sinniert, was denn der Urstoff der Welt sein könnte, jener Stoff aus dem alle Dinge hervorgegangen sind. Wie die richtige Antwort auf diese Frage lautet, darüber sind sich die milesischen Naturphilosophen allerdings nicht einig. Thales glaubt, dass Wasser der Urstoff sei, Anaximenes hingegen favorisiert die Luft. Anaximandros wiederum nennt „seinen“ Urstoff Apeiron, was man (so ganz ungefähr) mit das Unbegrenzte (oder das Unendliche) übersetzen kann.

Die verschiedenen angebotenen Lösungen provozieren eine antike Debatte zur richtigen Antwort auf die Frage nach dem Urstoff. Es ist eine Debatte, die (bei allen heute leicht erkennbaren Schwächen) zu recht im Ruf steht eine der wichtigsten Keimzellen für unsere heutige Kultur des rationalen Diskurses gewesen zu sein. Die Idee, Streitpunkte durch Argumente entscheiden zu wollen, und die Bereitschaft, sich dazu auf einen Wettbewerb um das bessere Argument einzulassen, markiert einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Kultur eines rationalen Verständnisses der Welt.

Beim vorsokratischen Aufbruch zur Verstandeskultur spielen neben den milesischen Naturphilosophen auch die Pythagoreer eine überaus prominente Rolle. Dieser von Pythagoras (ca. 570 – 500 v.Chr.) gegründete, stark orphisch geprägte Orden empfahl die Beschäftigung mit Wissenschaft als Mittel zur Läuterung der Seele. Insbesondere das Studium der vier Fächer Geometrie, Arithmetik, Harmonielehre und Astronomie sollte der Seele den Pfad des Heils weisen.

Auch die Pythagoreer stellen die Frage nach dem Urstoff. Dieser Punkt stand bei ihnen aber längst nicht so im Zentrum ihres Denkens wie bei den milesischen Naturphilosophen. Deutlich wichtiger ist den Pythagoreern ihr Ordensmotto: Alles ist Zahl. Dieses Motto steht einerseits in Beziehung zu zahlenmystischem Denken, verweist aber anderseits auch auf den produktiven Denkansatz der Pythagoreer: Suche beim Studium der Dinge stets nach einem mit Zahlen ausdrückbaren Muster!

Das Renommierobjekt des Ordensmottos Alles ist Zahl war die pythagoreische Harmonielehre. Die Pythagoreer, angeblich sogar Pythagoras selbst, hatten herausgefunden, dass mit den harmonischen Intervallen Oktave, Quinte und Quarte die Zahlenverhältnisse 2:1, 3:2 und 4:3 korrespondieren. In einer solchen Anwendung hat das pythagoreische Alles ist Zahl gar nichts zahlenmystisches an sich. Es erscheint hier vielmehr als ein früher Vorläufer von Galileis Das Buch der Natur ist mit mathematischen Symbolen geschrieben. Die Suche nach mathematischer Ordnung in der Natur galt also schon bei den Pythagoreern als Schlüssel zur Verbesserung des Verständnisses der Welt. Die bis heute ja noch nicht abgeschlossene Suche nach einer Weltformel, einer Theory of Everything, steht also in gewisser Weise in der Nachfolge dieser alten pythagoreischen Tradition.

Pythagoras, dem im übrigen auch die Schöpfung des Wortes „Philosophie“ nachgesagt wird, hat mit dem von ihm gegründeten Orden der Pythagoreer einen langen und nachhaltigen Einfluss auf die griechische Antike ausgeübt. Und damit hat er indirekt auch die ganze westliche Kultur und das heutige Konzept einer mathematisierten Naturwissenschaft entscheidend vorbereitet und mitgeprägt.

Trotzdem gab es schon in der griechischen Antike auch heftige Kritiker des Pythagoras. Der einflussreichste antike Pythagoras-Kritiker war sicherlich Heraklit (ca. 550 – 480 v.Chr.). Sein Urteil über Pythagoras und einige andere Größen der griechischen Geschichte: Vielwisserei bringt noch keinen Verstand. Sonst hätte sie den Hesiod klug gemacht und den Pythagoras und den Xenophanes und Hekataios!

Heraklit interessiert sich nicht sonderlich für die Suche nach der unveränderlichen Ordnung des Kosmos. Er ist im Gegenteil von Dynamik, Veränderung, Wandel fasziniert. Sein Urstoff heißt Feuer. In seinem Weltbild befindet sich alles beständig in Veränderung: Alles ist stets im Fluss. Und weil alles stets im Fluss ist, sieht Heraklit jedes Weltbild, das die Existenz von Unveränderlichem behauptet, als fehlerhaft und Ausdruck eines großen Irrtums an.

Heraklit liebt es, seine Gedanken in möglichst paradox klingende Aphorismen zu verpacken: Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben; wir sind es, und wir sind es nicht.

Wenn nichts dasselbe bleibt, sondern sich alles stets im Wandel befindet, gibt es dann eigentlich überhaupt Dinge oder gibt es nur Prozesse? Ein späterer Anhänger von Heraklit namens Kratylos hat Heraklits Grundgedanken soweit auf die Spitze getrieben, dass er die Existenz von Dingen bestritt, weil die Existenz von Dingen die Existenz von etwas voraussetzen würde, das nicht (in jeder Hinsicht) zumindest kleinen, beständigen Veränderungen unterliegt. So etwas – so die These – gibt es aber nicht. Folglich kann es in Wirklichkeit gar keine Dinge geben, so sehr wir auch den Eindruck haben, dass es sie gibt.

Ob Heraklit selbst in seinem Denken soweit gegangen ist, wird in der aktuellen Literatur zur Vorsokratik heftig diskutiert. Heraklits Schriften sind verloren gegangen. Das, was wir von ihm kennen, sind nur wenige, zufällig überlieferte, meist recht dunkle Aphorismen. Die Frage, was Heraklit genau mit diesen Aphorismen meinte, wird also wohl (soweit absehbar) strittig bleiben.

Dass es häufig etwas schwierig ist, herauszufinden, was genau Heraklit eigentlich meint, hat man übrigens schon in der Antike so empfunden. Obwohl man damals seine Ausführungen noch im Zusammenhang lesen konnte, hat er schon damals den Beinamen Der Dunkle bekommen. Da vielen die Dunkelheit einer Formulierung als Hinweis auf die Tiefsinnigkeit des dahinter verborgenen Gedankens gilt, hat Heraklits Ansehen nur wenig unter seiner Vorliebe fürs Dunkle gelitten.


Der Text Vorsokratik: Von Thales bis Heraklit (www.antike-griechische.de/Vorsokratik-1.pdf) schildert die hier skizzierten Anfänge der Vorsokratik auf 46 Seiten. Dabei wird auch der vorsokratischen Astronomie einige Aufmerksamkeit gezollt.

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